PresseEcho
01.06.2005
		    vorwärts
		  
Special: 50 plus, na und?
Wir sollten endlich anfangen, Lebensalter als Gewinn zu begreifen, fordert Sozialministerin Ulla Schmidt im vorwärts-Interview. Aber das gelingt nur, wenn Wirtschaft und Gesellschaft die Erfahrungen der Älteren stärker nutzen.Gezielt ältere Mitarbeiter einstellen – Unternehmen beginnen ganz langsam zu erkennen, dass sie damit auf das richtige Pferd setzen. Denn die Älteren sind flexibler, erfahrener und verfügen über mehr soziale Kompetenz als die Jüngeren.
Vergangenes Jahr erschien im „vorwärts“ folgende Anzeige:   „Anzeigenleiter gesucht, politisch interessiert, strategisch versiert,   akquisitionsstark und abschlusssicher.“ Eine Altersangabe gab es nicht.   Trotzdem fragten die wenigen über 50-Jährigen, die sich bewarben, fast   alle telefonisch an, ob es in ihrem Alter überhaupt Sinn mache,   Bewerbungsunterlagen zu schicken. 
		    Szenenwechsel: „Einstieg für   erfahrene Spezialisten und Führungskräfte: Zur Ergänzung unserer   Nachwuchskräfte sind wir auf der Suche nach älteren erfahrenen   Entscheidungsträgern ab 45 Jahren, die unsere junge Mannschaft   zielstrebig führen,“ heißt es auf der Internet-Seite eines der   erfolgreichsten und innovativsten deutschen Autozulieferer. Das   Unternehmen kann sich vor qualifizierten Bewerbern kaum retten. 
		    Gezielt   um Ältere zu werben, das wagen nur wenige Unternehmen. Das Institut für   Arbeit und Technik in Gelsenkirchen hat kürzlich ermittelt, dass 15   Prozent der Unternehmen in Deutschland „grundsätzlich“ nicht bereit   sind, ältere Arbeitnehmer einzustellen. 31 Prozent gaben an, über   50-Jährige einzustellen, wenn Beihilfen gezahlt werden. Nur jedes zweite   Unternehmen ist bereit, Ältere ohne Bedingungen zu beschäftigen. In   Zeiten, in denen es mangels Wirtschaftswachstums ohnehin wenig Bewegung   auf dem Arbeitsmarkt gibt, ist das fatal für alle, die mit über 50   arbeitslos werden. Kein Wunder also, dass 35 Prozent der   Langzeitarbeitslosen über 50 sind. 
		    Banken besinnen sich auf   grauhaarige Anlageberater 
		    Es ist immer leichter, einen Trend   mitzumachen, als sich ihm zu widersetzen. Das gilt auch für Unternehmen.   Nur wer jung ist, ist leistungsstark und kreativ, lautet das Credo.   Personalleiter, die entsprechend handeln, machen also vordergründig   alles richtig. Aber es gibt Widerständler. Erste Werbeagenturen gründen   sich, die nur aus älteren Kollegen bestehen. Sie reagieren damit auch   auf Wünsche von Unternehmen, die auf Erfahrung und Know-how Wert legen.   Banken besinnen sich auf grauhaarige Anlageberater, weil die vor allem   bei wohlhabenden Kunden einen seriöseren Eindruck machen als ein   dynamischer Jungspund. BMW in Leipzig wirbt gezielt um über 50-Jährige,   und die dänische Supermarktkette netto beschäftigt in einem ihrer   Berliner Märkte nur Mitarbeiter über 45. 
		    „Eines Tages bekam ich   einen Anruf von einem Unternehmensberater, mit dem ich kurz zuvor zu tun   gehabt habe“, erzählt Reiner Rosendahl aus Krefeld. „Herr Rosendahl,   können Sie sich vorstellen, dass ich als Mitarbeiter zu Ihnen komme. Ich   sage Ihnen gleich, ich bin schon etwas älter, aber ich will noch mal   zehn Jahre richtig was bewegen.“ Reiner Rosendahl, Geschäftsführer eines   Unternehmens für Solaranlagen-Elektronik, nahm das Angebot an. Das war   vor fünf Jahren, und er freut sich immer noch über diese Entscheidung.   „Etwas Besseres konnte mir gar nicht passieren.“ Der Mann habe zwar von   der technischen Seite keine Ahnung gehabt, sich aber schnell und   akribisch eingearbeitet. „Der steht mittendrin. Da ist von Aufhören   nicht die Rede.“ Inzwischen setzt Rosendahl gezielt auf Ältere und ist   sich sicher: „Ohne die würde mein Unternehmen nicht so gut laufen.“ 
		    Rosendahl   schätzt den Erfahrungsschatz und die soziale Kompetenz, die die älteren   Kollegen mitbringen, ihr Einfühlungsvermögen, ihre Souveränität im   Umgang auch mit komplizierten Kunden und ihre Bereitschaft,   Verantwortung zu übernehmen. „Ich war Segeln und nicht erreichbar, als   ein Kollege auf dem Weg zu einer wichtigen Messe mit dem Fahrzeug und   den Messeunterlagen verunglückte. Einer der älteren Mitarbeiter hat ad   hoc alles Notwendige entschieden, obwohl er mich nicht erreichen konnte.   Ein junger Mitarbeiter hätte Angst gehabt, dass er seine Kompetenz   überschreitet.“ Auch dem Arbeitsklima im Unternehmen nützen die Älteren,   hat er festgestellt. Mittlerweile haben der älteste und der jüngste   Mitarbeiter – freiwillig – zusammen ein Büro bezogen. 
		    Ältere sind   flexibler und zuverlässiger 
		    „Oberhalb 50 findet man keinen Job mehr,   so pauschal ist das dummes Zeug“, erklärt Eberhard von Rundstedt,   Vorsitzender der Geschäftsführung der Unternehmensberatung von Rundstedt   und Partner, deren Hauptgeschäft die Outplacementberatung ist. Dabei   geht es darum, Mitarbeitern die in einem Unternehmen nicht mehr   gebraucht werden, dabei zu helfen, eine neue Tätigkeit zu finden.   Rundstedt ist überzeugt, dass sich in den kommenden Jahren die Chancen   zu Gunsten der Älteren wandeln werden – weil es den Unternehmen an   Nachwuchs fehlt und weil Unternehmen anfangen, die Vorteile zu erkennen,   die ältere Mitarbeiter mitbringen. 
		    „Solche Menschen haben in der   Regel ihr Haus bestellt“, sagt Rundstedt. „Wenn es um einen Ortswechsel   geht, sind sie flexibler, weil die Kinder aus dem Haus sind.“ Die   Gefahr, dass sie sich beim Squash-Turnier die Schulter auskugeln sei   auch geringer. „Sie können sich ganz anders als ein jüngerer Mensch auf   den Beruf konzentrieren und wollen es auch.“ Aber sind die Älteren nicht   zu teuer? Das Argument gelte nicht, so Rundstedt. Weil sie anders als   Jüngere meist weniger finanzielle Verpflichtungen haben – die Kinder   sind weitgehend selbstständig, der Hausstand ist komplett – können viele   von ihnen ihre Einkommensforderungen zurückschrauben, ohne große   Einschränkungen im Lebensstandard hinnehmen zu müssen. 
		    Rundstedt hat   sogar die Erfahrung gemacht, dass „die Gruppe bis 48 schwerer wieder   Arbeit findet als die Gruppe, die fünf Jahre älter ist“, eben weil die   über 50-Jährigen flexibler sind. Aus Unternehmersicht könnte noch etwas   für die Älteren sprechen. Wer sich für einen 30-Jährigen entscheidet,   muss damit rechnen, dass der nach ein paar Jahren wechselt. Der   52-Jährige werde vermutlich bleiben, so Oliver Kaden, Personalchef bei   Lufthansa Cargo. 
		    Neue Gesetze erleichtern die Vermittlung von   Älteren. 
Bei Lufthansa Cargo ist der Anteil der Älteren relativ hoch.   Zirka 25 Prozent sind über 50, 6,5 Prozent über 60. „Bei uns gibt es   keine Policy, sich bewusst von älteren Mitarbeitern zu trennen“, sagt   Kaden. Das Unternehmen habe über Jahre in die Weiterbildung der   Mitarbeiter investiert. Da sei es ökonomisch unsinnig, sich von ihnen zu   trennen. Zudem gebe es Spezialisten, z.B. für Gefahrgut, die für das   Unternehmen so wichtig seien, dass es geradezu fahrlässig wäre, sie auf   sie zu verzichten. Aber auch für die Lufthansa ist das eine neuere   Erkenntnis. Als das Unternehmen 1993 fast vor der Pleite stand, griff   man noch auf Frühverrentung und Abfindungen für ältere Mitarbeiter   zurück. 
		    Die Gesetzesänderungen der Bundesregierung erleichtern die   Vermittlung von Älteren. Vor allem helfe die Möglichkeit, ab dem 53.   Lebensjahr auf Dauer befristet beschäftigt zu werden, so Rundstedt.   Damit könne sein Unternehmen manchem Arbeitgeber eine Neueinstellung   schmackhaft machen. Allerdings solle der Arbeitnehmer versuchen zu   erreichen, dass er ein Vierteljahr vor Vertragsende erfährt, ob er   weiter beschäftigt wird. Damit er sich gegebenenfalls etwas Neues suchen   kann. Ist das nicht ungerecht gegenüber den Älteren? Rundstedt winkt   ab. Auch wer fest angestellt sei, könne jederzeit gekündigt werden. Und   die Klage auf Wiedereinstellung sei gerade mal in zwei bis drei Prozent   der Fälle erfolgreich. 
		    Wer aus dem gewerblichen Bereich kommt, hat   es besonders schwer, als über 50-Jähriger wieder Arbeit zu finden. Die   PEAG ist eine Transfergesellschaft, die von Arbeitslosigkeit bedrohten   Menschen eine befristete Beschäftigung anbietet. Ziel ist, sie in neue   feste Arbeitsverhältnisse zu vermitteln. Derzeit entwickelt die PEAG   speziell auf Ältere zugeschnittene Bewerbungsseminare. „Wer heute 55   ist, hat noch bis zu zehn Jahren Berufsleben vor sich,“ sagt Beraterin   Katja Podporowski. Sie rät allen älteren Bewerbern: kein Selbstmitleid,   sich nicht für sein Alter entschuldigen und sich schon gar nicht mit   einem zehn Jahre alten Foto bewerben. Besser sei es, individuelle   Stärken herauszustellen: langjährige Berufserfahrung, weit reichende   Kontakte und Flexibilität in Bezug auf den Arbeitsort. „Damit können   auch Ältere auf dem Arbeitsmarkt punkten.“ 
Seit sie 16 Jahre alt ist, hat Christa Bischof gearbeitet. 29 Jahre lang in ihrem gelernten Beruf als Zahntechnikerin. Diese Arbeit mit vielen Überstunden hat sie aufgegeben, um ihre Mutter zu pflegen. Dann war die Berlinerin Fluggastkontrolleurin und schließlich Schreibwaren-Verkäuferin. Jetzt, mit 62 Jahren, macht sie etwas, was ihr mehr Spaß macht als alle bisherigen Aufgaben: Sie hilft Schülern mit schlechten Berufsaussichten, diese etwas zu verbessern. Die Arbeit ist toll, sagt sie. Nur an der Entlohnung hapert es. Weil sie keinen regulären Job mehr fand, hat Christa Bischof 2001 als ABM-Kraft beim Verein Arbeit-Schule-Integrations-Gesellschaft (ASIG) angefangen, als so genannte Praxisbegleiterin des „Netzwerk Berliner Schülerfirmen“. Erwachsene mit Berufserfahrung begleiten die Schüler im Unterricht und bei Projekten. In der Schule am Rosenhain in Berlin-Hellersdorf unterstützt sie die Schüler-Catering-Firma. Die betreibt ein Pausencafé, kocht einmal in der Woche Mittagessen für die Lehrer und verkauft selbst gemachtes vegetarisches Schmalz. Christa Bischof fühlt sich wohl unter den Schülern. Was ihr besonders gefällt: Ihnen zu helfen, bessere Chancen im Berufsleben zu haben. „Es ist unerträglich, ohne Arbeit zu sein“, sagt sie. „Man sitzt zu Hause und kann sich nicht bewegen, weil alles Geld kostet.“ Das geht ihr jetzt allerdings auch so, obwohl sie arbeitet. Nach dem ABM-Jahr erhält sie Arbeitslosengeld-II und ein geringes Entgelt für ihre Begleiter-Arbeit. „Es ist schwierig“, sagt Christa Bischof. „Aber man muss das Beste daraus machen.“ (Susanne Dohrn)
